Prävention statt Intervention
Deutschland wird immer dicker. Jede siebte Frau und jeder zehnte Mann ist übergewichtig. Damit gehen zahlreiche Krankheiten einher: Ein schwächeres Herzkreislaufsystem mit erhöhtem Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, Bluthochdruck aber auch Diabetes Typ II, Atembeschwerden und bestimmte Krebserkrankungen werden dadurch wahrscheinlicher. Ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel fordern ihren Tribut. Die Lösung: Gegensteuern und mit Prävention statt Reha an die Sache herantreten. Ein Weg führt über die Verschreibung von Bewegung durch den Arzt. Was können Interessierte tun, die ihr Leben ändern wollen und wie können Ärzte das Rezept für Bewegung handhaben?
Gesundheitskurse und Bewegungslehre: Mit diesem Konzept sollen in Zukunft auch Ärzte ihren Patienten mitteilen dürfen, dass sie sich regelmäßiger bewegen müssen. Der Sport auf Rezept ist eine langgehegte Idee, die mit dem Präventionsgesetz, das zu Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten ist, endlich möglich geworden ist. Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Prävention stärker in den Fokus der Krankenkassen zu rücken und sowohl die Vorsorgeuntersuchungen weiter auszubauen, als auch gesundheitsfördernde Mittel, wie Ernährungs- und Sportkurse mit in das Angebot aufzunehmen. Mit dem Blick der Ärzte auf die individuellen Risikofaktoren sollen sie aktiv an der Gesunderhaltung der Patienten teilnehmen und Präventionsempfehlungen aussprechen dürfen. Da kommt der Sport auf Rezept ins Spiel, der anschließend von der Kranken- und Pflegekasse mitgetragen werden soll. Mehr als 500 Millionen Euro sollen durch diese in die Gesundheitsförderung und Prävention einfließen.
Den Sport auf Rezept gibt es rein offiziell als Mittel über die Kasse noch nicht. Stattdessen hat sich der Olympische Sportbund der Sache angenommen und die Initiative „Sport pro Gesundheit“ in Angriff genommen. Mit dem Vordruck des Rezepts für Bewegung können Ärzte in 14 Bundesländern bereits durch die Initiative zertifizierte Kurse „verschreiben“. Zukünftig wünschen sich die Akteure jedoch, dass auch von der Kasse mehr Bereitschaft gezeigt wird, die im Präventionsgesetz vorgeschriebenen Gelder zu investieren und ein konkretes Rezept vorzulegen.
Die Umsetzung jedoch erweist sich als schwierig. Die gesetzlichen Krankenversicherungen fürchten, dass bald jeder seinen Sport über die Kasse abrechnet und dass so unkalkulierbare Kosten auf sie zu kommen. Außerdem ist nicht jeder Sport klar gesundheitsorientiert: Die Mitgliedschaft im Fußballverein fällt weg, auch wenn sie natürlich regelmäßige Bewegung bedeutet. Dazu kommt noch, dass nicht jeder, der eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio zahlt, auch regelmäßig dorthin geht. Das bedeutet, dass die Angebote zum einen zertifiziert sein und zum anderen kontrollierbar bleiben müssen.
Übergewicht ist häufig nur der Anfang einer Krankheitsgeschichte. Bleiben die überschüssigen Pfunde auf Dauer, kann das zu Erkrankungen des Herzkreislaufsystems führen. Bluthochdruck ist keine Seltenheit, damit steigt auch das Risiko für Infarkte, Schlaganfälle oder Diabetes Typ II. Gerade an dieser Stelle könnten Präventivmaßnahmen helfen, das Gewicht zu reduzieren und so zu einer besseren Gesundheit beitragen.
Ein solches System muss erst ausgearbeitet werden - eine Schwachstelle im Präventionsgesetz. Die Krankenkasse fürchtet um ihre Wirtschaftlichkeit, die letztendlich ausschlaggebend für das Funktionieren des Gesundheitssystems ist. Einen anderen Ansatz - die Sportmuffel zu bestrafen und ihnen höhere Beiträge in Rechnung zu stellen - findet der Spitzenverband GKV auch nicht richtig: „Jeder sollte einen Krankenkassenbeitrag zahlen, der seiner eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Das ist für uns Solidarität. Wir wollen Menschen nicht dafür bestrafen, wenn sie sich vielleicht nicht ganz so gesund verhalten wie andere Menschen.“, sagt Florian Lanz vom Kassenverband GKV. Stattdessen setzen sie auf Kurse und Impulse: „Bestimmte Kurse, um einen Impuls zu setzen, für bessere Ernährung, für mehr Bewegung - das ist gut, das machen wir gerne. Aber dauerhaft eine Mitgliedschaft in einem Fußballverein oder einem Fitnessstudio zu finanzieren, da ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, dafür ist die Solidargemeinschaft nicht da.“
Ob sich diese Haltung einmal verändern muss und das Präventionsgesetz in dieser Hinsicht noch verschärft wird, bleibt abzuwarten. Allerdings kann bis dahin jeder einzelne an sich arbeiten. Zum einen gibt es auch Sportarten, die völlig kostenlos ausführbar sind und zum anderen auch Kurse, die schon jetzt von der Krankenkasse unterstützt werden. Dabei kommt es sowohl auf die Kasse selbst als auch das eigene Engagement an - denn von sich aus kommt die Kasse nicht auf ihre Versicherten zu, um ihnen Angebote zu unterbreiten.
Schon jetzt werden Kurse von der Krankenkasse übernommen, besonders gefördert werden solche zur gesunden Ernährung, Yoga, Kurse zur Stressbewältigung oder auch spezielle Rückenschulen, die den Rumpf stärken und somit Rückenschmerzen und Haltungsschäden vorbeugen.
Aktuell werden in erster Linie Rehabilitationsmaßnahmen übernommen und gewährt. Allerdings liegt darin nicht das wahre Potential: Würde mehr Geld in die Prävention fließen, könnten vermutlich viele Gelder aus der Reha rausgehalten werden, da weniger Krankheitsfälle passieren würden. Der Fokus liegt also eher auf Impulsen als auf langfristiger Förderung.
Sport- oder Ernährungskurse werden bereits heute von vielen Krankenkassen bezuschusst. Im Rahmen eines Gesundheitskontos stehen den Versicherten gewisse Beträge zu, die für Kurse oder Programme zur Verfügung stehen. Damit kann der Versicherte an Kursen teilnehmen, die natürlich den Anforderungen der Kasse entsprechen müssen. Die Kurskosten werden dann mit 75 bis 100 Prozent bezuschusst, meist ist dafür ein bestimmtes Maximalbudget vorgesehen. Manche Krankenkassen bieten zusätzlich eigene Programme und Kurse an, an denen die Versicherten kostenfrei teilnehmen können.
Für besonders sinnvoll erachtet werden zumeist
In den meisten Fällen sind es zwei Kurse pro Jahr, die die Versicherten in diesem Rahmen besuchen dürfen. Die Idee ist, dass das darin Erlernte Zuhause weitergeführt wird und dem Versicherten einen dauerhaften Zugewinn für die Gesundheit einbringt.
Wer akuten Beratungsbedarf hinsichtlich gesunder Ernährung hat, kann über die Krankenkasse entweder an Kochkursen teilnehmen oder über den Arzt eventuell eine Verschreibung einer Ernährungsberatung erwirken. Ist diese medizinisch notwendig, übernimmt die Krankenkasse einen Teil davon.
Auch abgesehen von den Kursen kann natürlich jeder etwas für seine Gesundheit tun und selbsttätig anfangen, die Ernährung umzustellen und Sport zu treiben. Für erste Schritte kann oft ein Arzt zu Rate gezogen werden, darüber hinaus helfen Ernährungsberater, den richtigen Weg zu finden. Bei starkem Übergewicht kann der Mediziner auch die medizinische Notwendigkeit einer Ernährungsberatung bescheinigen, die dann wiederum zu Zuschüssen von Seiten der Krankenkasse führen kann. Die Ernährungsberatung wird dann nach Stunden abgerechnet, die meisten Coaches verlangen zwischen 50 und 70 Euro pro Stunde einer Beratungssitzung. Die Krankenkassen bezuschussen oft 80 Prozent der ersten sechs Sitzungen. Meist helfen dann schon kleine Veränderungen das Gewicht zu reduzieren und so zu einer verbesserten Gesundheit zu kommen. Im Gegensatz zu ästhetisch-motivierten Behandlungen wie die Fett-Weg-Spritze sind die Veränderungen des Lebenswandels nachhaltiger, die weiteren Vorteile von Sport sprechen für sich.
Diese sind tatsächlich schon mit wenig Aufwand zu erreichen. Eine genaue Empfehlung lässt sich nicht für jeden Patienten ausgeben, allerdings sind sich die Experten dennoch einig, dass dreimal 20 bis 30 Minuten intensives Training pro Woche definitiv förderlich für die Gesundheit sind. Dabei sind besonders eine Kombination aus Kardio- und Krafttraining zu empfehlen. So wird gleichzeitig der Kreislauf in Schwung gebracht und Muskelkraft aufgebaut. Wachsen die Muskeln, fördert das wiederum nachhaltig den Fettabbau, da vor allem die Muskeln im Körper für die Energieverbrennung zuständig sind. Das Kardiotraining selbst trainiert effektiv die Ausdauer und das Herz-Kreislauf System. Dieses entspannt, senkt den Blutdruck und sorgt für einen Endorphin Schub nach dem Training - ein Grund, warum ein Sportprogramm sogar bei Depressionen förderlich wirken kann.
Wichtig ist dennoch, eine vernünftige Art zu trainieren und die Vernunft über überzogene Ziele siegen zu lassen. Sprich: Nicht einfach loslaufen und eine bestimmte Strecke bewältigen wollen, sondern stattdessen anständig darauf hintrainieren. Mit einer moderaten Einstiegsdistanz von 5 km steht ein Ziel im Raum, das durchaus zu bewältigen ist, das begleitende Krafttraining und die langsame Hinführung mit Walking und dem Joggen von kürzeren Intervallen wird der Körper auf die durchgehende Belastung von 30 bis 40 Minuten vorbereitet. Wer seine Motivation ganz besonders hochhalten will, der kann sich zu Beginn seines Trainings bei einem Wettkampf über 5km anmelden. Diesen locker zu bewältigen, sollte Ziel des Trainings sein.
Schon kleine Veränderungen können einen großen Unterschied für die Gesundheit machen. Leichtes Ausdauertraining wie Walking reicht bereits als Einstieg. Mit einem Trainingsplan kann sich die körperliche Aktivität langsam zum Joggen steigern und so ein Weg zum moderaten Kardiotraining gefunden werden.
Ist die Bewegungsempfehlung nicht zu bewältigen, weil Schmerzen auftreten, gilt es zunächst abzuklären, um welche Art von Schmerzen es sich handelt. Muskelkater ist zu Beginn ganz normal, da bei jedem Training ein Reiz gesetzt wird, der für kleine Mikro-Risse in den Muskelfasern sorgt. Um diese zu schließen braucht der Körper einiges an Energie - eine vernünftige Regeneration gehört also ebenso zum Trainingseinstieg dazu. Seitenstechen während des Trainings kann bei falscher Atmung auftreten und auch die Erschöpfung nach dem absolvierten Sport ist völlig normal. Treten jedoch Gelenkbeschwerden auf, die auch nach ein paar Tagen Schonung nicht aufhören oder sticht gar das Herz beim Trainieren selbst, sollte dringend beim Arzt abgeklärt werden, ob Sport aktuell förderlich für die Gesundheit ist oder ob dem Training ein körperliches Risiko im Wege steht. Nicht in jedem Fall ist Sport wirklich gesundheitsfördernd - ein Gesundheitscheck ist bei begründetem Verdacht Pflicht. Das sollte jedoch nicht als Ausrede gelten, der Bewegung fernzubleiben. Auch einfaches Spazierengehen kann das Energielevel erhöhen und so zu einer Gewichts Verringerung beitragen - 80 Prozent des Erfolges hängt ohnehin von der Ernährung ab.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Sport auf Rezept durchaus eine sinnvolle Sache wäre, die auf Betreiben des Sportbundes und Präventivmedizinern vielleicht schon bald Realität werden könnte. Die gesetzliche Grundlage dafür steht, einzig an der Umsetzung müssen Bund, Länder und der Verband der gesetzlichen Krankenkassen noch arbeiten. So muss es einen Weg geben, Sportangebote klar als langfristig gesundheitsfördernd einzustufen und zu kontrollieren, ob der Patient auch regelmäßig sportlich aktiv ist oder nicht. Eine pauschale Förderung für Sport wird es dann wohl nicht geben, allerdings Angebote, die sich konkret an all jene richten sollen, die bisher keinen Sinn für Bewegung und sportliche Aktivitäten gezeigt haben und unter den körperlichen Folgen leiden. Allerdings kann auch ohne ärztliche Verschreibung jeder Sport machen und moderat auf selbst gesteckte Ziele hinarbeiten. Das ist ohne Zweifel förderlich für die Gesundheit und hat obendrein noch viele weitere Effekte auf das persönliche Wohlbefinden.
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